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Am 2. November 2017 hielt die Historikerin Maria Souto Böhm im Grünen Salon in Bergisch Gladbach einen Vortrag über „Religionsverfassung in Portugal“. Religionspolitisch spannend ist Portugal, da es zwar als ein katholisches Land gelten kann, aber eines von nur drei europäischen Ländern ist, die eine laizistische Verfassung besitzen. Maria Souto Böhm hat die Entwicklung nachgezeichnet, die zur aktuellen Religionsverfassung im äußersten Westen des Kontinents führte, und die Praxis von Religion und Gesellschaft in Portugal untersucht. In ihrem Vortrag stellte sie mehrfach die enorme Bedeutung von Ökonomie und gerade Handel für die ganze portugiesische Geschichte und damit auch für die religiöse Verfasstheit dieses Landes heraus. Die Historikerin untersuchte, wie die Trennung von Staat und Kirche in der Verfassung verankert ist, und berücksichtigte dabei auch das „Konkordat zwischen Portugal und Heiligem Stuhl“.
Im ersten Teil des Vortrags widmete sich die Referentin der Geschichte des Gebietes in der Antike. Aufgrund der nachhaltigen Romanisierung der iberischen Halbinsel in der Zeit des Imperium Romanum wird in Portugal nach wie vor eine romanische Sprache gesprochen. Außerdem kamen im Zuge der Völkerwanderung die ersten Christen in die römischen Provinzen, ohne dass die Bevölkerung dort vollständig christianisiert wurde. Infolge der islamischen Expansion im Mittelalter stand die iberische Halbinsel für mehrere Jahrhunderte unter muslimischer Herrschaft.
Maria Souto Böhm begründet, dass der Terminus „Reconquista“ für das Gebiet des späteren Portugals durch die Christen äußerst missverständlich sei. Der Begriff impliziere nämlich fälschlicherweise, dass das Gebiet in vorislamischer Zeit den Christen gehört habe. Statt „Reconquista“ schlägt die Historikerin, gemäß der neueren Forschung, den Terminus „Landnahme“ vor. Gegen diese „Landnahme“ gab es offenbar große Widerstände, was wohl damit zusammenhängt, dass (vor allem) das Gebiet südlich von Lissabon stark von der arabischen Kultur geprägt war. Die heutige Algarve (al Gharb) war das letzte Gebiet, das die Christen von den Arabern erobert haben. Für den Prozess war die Hilfe der Kreuzfahrer wichtig, die nach Jerusalem fuhren.
Als Jahr der Entstehung Portugals ist das Jahr 1143 festmachen, als Alfons I. in Anwesenheit eines Repräsentanten des Papstes die Autonomie vertraglich zugesichert wurde. Insgesamt lebten in Portugal stets verschiedene Religionsgruppen wie Juden, Muslime, Christen und „Neu-Christen“ – also jene, die zum Christentum konvertiert waren. Die Referentin betont, dass Portugal also schon historisch nie religiös homogen war.
Die frühe Neuzeit war vom sogenannten „Jahrhundert der Entdeckung“ (1479-1580) geprägt, in dem es einen Höhepunkt des Gewürzhandels gab und Kolonien eingerichtet wurden. Auseinandersetzungen mit Spanien führten in der Zeit von 1580 bis 1640 zu einem Verlust der portugiesischen Unabhängigkeit. Dieser Konflikt auf der iberischen Halbinsel sollte für die Außenpolitik Portugals in der Moderne eine wichtige Rolle spielen, da lange eine Eroberung durch das große Nachbarland befürchtet wurde. Das Herausdrängen der Spanier aus Portugal lässt sich auch als Herausdrängen des spanischen Katholizismus deuten, der eine Gefahr für die politische Autonomie darstellte.
In der Neuzeit bekam das Christentum in Portugal eine dominierende Stellung. Im Zuge der Inquisition wurden nicht nur „Nicht-Christen“, sondern auch „Neu-Christen“ verfolgt (Denunziationen). Der bedeutendste politische Akteur im 18. Jahrhundert war der Premierminister Marquês de Pombal unter König Joseph I., der stark von der Aufklärung beeinflusst war und das immer noch mittelalterlich geprägte Portugal durch ein umfangreiches Reformprogramm (Maßnahmen gegen Kirche, Ausweisung der Jesuiten aus dem Land, Beschränkung des Einflusses von Großgrundbesitzern, Modernisierung des Staates) in die Moderne führte.
Die Französische Revolution an sich war wenig bedeutsam für Portugal, doch Napoleon stellte eine Bedrohung für den Staat dar. Deswegen kam es 1807 zu einer Flucht des gesamten Hofstaates mit Großgrundbesitzern, Händler und Klerus in die Kolonie nach Rio de Janeiro. Diese Verlagerung der Hauptstadt in die Kolonie ist einzigartig in der europäischen Geschichte. Neben der religiösen Heterogenität des Landes erscheint gerade die Flucht des Klerus ein weiterer Aspekt zu sein, um die heutige Religionsverfassung Portugals zu verstehen. Napoleon kam nie selbst nach Portugal, doch seine Soldaten zerstörten bei drei Invasionen auf der Suche nach Beute Paläste und Kirchen. Die Bedrohung durch Napoleon erklärt, warum Portugal eine politische Nähe zu Großbritannien gesucht hat. Festzustellen ist aber, dass sich auch die Truppen des 1. Dukes von Wellington bei den Portugiesen nicht gerade beliebt gemacht haben.
Sozio-ökonomische Umbrüche führten später zu einem Ende der Monarchie. Weil die Königsherrschaft eng mit dem Klerus verbunden war, wurde der Kirche eine Mitverantwortung für den desolaten Zustand des Staates gegeben. Deswegen hatte schon die „Erste Republik“ (5.10.1910-1926) eine laizistische Verfassung. In dieser Zeit wurde der Religionsunterrichtung an Schulen und die Theologenausbildung an Universitäten abgeschafft. Seitdem wurden Geistliche wieder an Priesterseminaren ausgebildet. Infolge einer nichtfunktionalen Demokratie, einem Chaos durch Auseinandersetzungen verschiedener politischer Strömungen, einer desolaten Wirtschaft und eines Militärputsches wurde Antonio de Oliveira Salazar (ein Universitätsprofessor für Ökonomie) zum Premierminister berufen. In seiner Erziehung war er katholisch geprägt, im Studium wurde er von Priestern unterstützt, er entwickelte aber ein ambivalentes Verhältnis zur Kirche. Unter seiner Regierung („Estado Novo“, 1926-1970) sah die Verfassung weiterhin eine Trennung von Staat und Kirche vor, aber das römisch-katholische Bekenntnis wurde als traditionelle Konfession der portugiesischen Nation bezeichnet. Die autoritäre Regierung Salazars unterschied sich von faschistischen Systemen in anderen europäischen Ländern unter anderem durch das Fehlen eines Kultes um seine Person. Im Zuge seiner Konsolidierungsmaßnahmen wurden Freiheiten eingeschränkt und Parteien verboten. Beispielsweise ging Salazar gegen die Bewegung „Camisas Azuis“ („Blaue Hemden“) vor, die offen Sympathien für die nationalistischen Ideologien in anderen europäischen Ländern zeigte und 1935 einen Staatsstreich versuchte. Ihr Leiter wurde festgenommen und ins Exil nach Spanien geschickt. Aufgrund der Eigenheiten von Salazars Regierungszeit wird diese in der neueren Forschung mitunter als „Salazarismus“ bezeichnet. Der Religionsunterricht, der in der Republik abgeschafft war, wurde unter Salazar – allerdings auf eigene Kosten – wieder zugelassen. Theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten wurden jedoch nicht wieder eingeführt. Nach der Revolution vom 25. April 1974 („Nelkenrevolution“) hat sich am Prinzip des Laizismus wenig geändert.
Außer Christen leben in Portugal Juden und Muslime. Infolge des Kolonialkriegs sind fast eine Millionen Portugiesen aus den ehemaligen Kolonien nach Portugal gekommen. Anfang der 2000er kamen auch zahlreiche Brasilianer auf Arbeitssuche nach Portugal. Viele von ihnen brachten andere Glaubensvorstellungen mit (aus den Kolonien kamen etwa Naturreligionen). Es gibt weiterhin viele Evangelikale aus den USA. Seit den 1930er Jahren gibt es Zeugen Jevohas, die somit einer der ältesten Gruppen des Landes sind. Heute tendiert die junge Gesellschaft Portugals in den großen Städten dazu, sich vom kirchlichen Kult der katholischen Kirche und von ihrer Lehre zu entfernen.
Im analytischen Teil setzte sich Maria Souto Böhm mit der portugiesischen Verfassung (Art. 41 bzw. 288) auseinander, die einerseits die Trennung von Kirche und Staat vorsieht, andererseits aber auch Religionsfreiheit tief verankert. In Portugal gibt es keine Vorrechte, keine Privilegien und keinerlei gesellschaftliche Akzeptanz für solche Forderungen, daher werden solche auch nicht aufgestellt. An verschiedenen Bereichen (z. B. Krankenhauswesen und Universitäten) wurde gezeigt, dass die staatlichen Institutionen unbestritten weltlich sein sollen. Auch das Schulsystem wird vom Staat geregelt. Ebenso ist die Heirat säkular: Selbst wenn in der Kirche geheiratet wird, werden dabei zuvor eingeholte Dokumente des Staates verwendet. Eine Scheidung ist von staatlicher Seite möglich.
Die strikte Trennung von Religion und Politik ist gewünscht – es existieren keine relevanten religiösen Parteien. Gleichwohl gibt es aber eine Volksreligiosität, wobei die meisten sich als gläubig ansehenden Menschen nur wenig Bezug zur Theologie haben. Die meisten Portugiesen verstehen sich zwar als katholisch, aber dieser Katholizismus ist ein Volksglaube und die Gläubigen haben wenig Interesse an Theologie. In Bezug auf Bereiche, die ins Private hineinreichen (zum Beispiel Abtreibung und Sterbehilfe), gibt es durchaus auch konservative Einstellungen. Am Ende des Vortrags thematisierte die Referentin auch das „Konkordat zwischen Portugal und Heiligem Stuhl“ von 1940, das 2004 erneuert wurde. Nach dieser Vereinbarung sind die Besitztümer der Kirche, die dem Kult, karitativen Zwecken und der Sozialhilfe (zum Beispiel Familienberatung) dienen, von der Steuer befreit. Für den übrigen Besitz, an dem die Kirche finanziell profitiert, gelten dieselben steuerlichen Bestimmungen wie für alle Bürger. Im Laufe der langen Diskussion am Ende der Veranstaltung wurde festgestellt, dass Portugal offen für Flüchtlinge ist und überdurchschnittlich viele säkulare Organisationen hat.
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