Rede des Vorsitzenden der Kreistagsfraktion Bündnis 90/GRÜNE im Rheinisch Bergischen Kreis, Roland Rickes

Mobilität und Nachhaltigkeit: ein ewiger Konflikt?! Sehr geehrter Herr Dr.Tebroke, meine Damen und Herren,  Mobilität in allen Formen begleitet die Menschen von Anbeginn. Permanente Mobilität war das Kennzeichen der Jäger- und Sammlergesellschaft, Nachhaltigkeit gab es in diesen Gesellschaften allenfalls in sozialer Hinsicht. Jäger und Sammler ziehen weiter, wenn die Region ausgebeutet ist. Das können wir heute nicht mehr. Es gibt keinen Planet B.

11.12.15 –

Mobilität und Nachhaltigkeit: ein ewiger Konflikt?!  

Rede des Vorsitzenden der Kreistagsfraktion Bündnis 90/GRÜNE im Rheinisch Bergischen Kreis, Roland Rickes

anlässlich der Verabschiedung des Kreishaushaltes 2016 in der Kreistagssitzung am Donnerstag, dem 10.12.2015        

- Haushaltsrede -                

Es gilt das gesprochene Wort. 

Mobilität und Nachhaltigkeit 

Sehr geehrter Herr Dr.Tebroke, meine Damen und Herren, 

Mobilität in allen Formen begleitet die Menschen von Anbeginn. Permanente Mobilität war das Kennzeichen der Jäger- und Sammlergesellschaft, Nachhaltigkeit gab es in diesen Gesellschaften allenfalls in sozialer Hinsicht. Jäger und Sammler ziehen weiter, wenn die Region ausgebeutet ist. Das können wir heute nicht mehr. Es gibt keinen Planet B.

Wanderungsbewegungen sind aber nicht nur ein Thema für Urmenschen. Kaum ein Volk in Europa lebt noch an der gleichen Stelle wie zu Christi Geburt, die Ostgoten zogen von der Insel Gotland nach Italien. Die Westgoten und die Vandalen aus dem heutigen Polen erreichten über Spanien Nordafrika und sind dort verschwunden. Man würde das mit heutigen Worten eine erfolgreiche Integration nennen – ein erheblicher Teil blonder Berber ist sichtbares Zeichen des Genpools. Die wandernden Germanenstämme waren zu einem erheblichen Teil auch auf dem Weg in den wirtschaftlichen und politisch stabilen Raum des römischen Reiches – Wirtschaftsflüchtlinge halt. Flüchtlinge und Zuwanderer sind schon seit Jahrtausenden der Normalfall und nicht die Ausnahme. Sie sind eine Belastung und eine Chance zugleich.

Die Flüchtlinge nach dem Ende der letzten Eiszeit, die aus den austrocknenden Steppen aufbrachen, die heute die Sahara und die arabischen und iranischen Wüsten bilden, formten die ersten Hochkulturen der Welt in Ägypten und Mesopotamien.

Wir sind Zeuge einer solchen Wanderungsbewegung. Menschen brechen zu Tausenden aus ihrer Heimat auf und suchen Schutz und Heimat bei uns, auch im Rheinisch Bergischen Kreis. In diesem Jahr waren es besonders viele. Zu viele?

13,5 Millionen Menschen sind seit den 60er Jahren nach Deutschland eingewandert. Ich bin im Ruhrgebiet aufgewachsen, wo sich die Bevölkerung durch Zuwanderung in 100 Jahren verzehnfacht hat. Ich weiß aus eigener Erfahrung: wir können die Integration auch bei großen Zahlen schaffen. Wir sollten die Herausforderung annehmen. Denn auch das hat die Geschichte gelehrt: die erfolgreichsten Imperien der Vergangenheit waren die Folge von Zuwanderungen, das verjüngt, bringt neue Ideen und zusätzliche Arbeitskräfte.

Ich weiß auch, dass der aktuelle Flüchtlingsstrom viel Engagement benötigt, und dass er die Personen in den betroffenen Verwaltungen und den Hilfsorganisationen an die Grenzen Ihrer Möglichkeiten bringt. Deren Engagement und das der ehrenamtlichen Helfer ist begeisternd und ungebrochen. Ich möchte mich persönlich und im Namen meiner Fraktion bei allen denen bedanken, die sich hier engagieren und versprechen, dass wir alles in unserer Macht stehende tun werden, um sie zu unterstützen.

Seit Beginn des Industriezeitalters gibt es eine neue Mobilität. Sie basiert auf der Nutzung der in Millionen von Jahren gespeicherten Energiereserven von Kohle, Öl, Gas. Die Deponie- und Umweltzerstörungsprobleme dieses Verhaltens sind bereits spürbar, die Ressourcenprobleme noch nicht wirklich. Das Fazit der Wissenschaftler lautet: Wir werden das nicht mehr lange durchhalten.  Die meisten Menschen in Europa haben das ebenfalls erkannt.  

Eigentlich ist nur der späte Zeitpunkt erschreckend.  1994 sagte der Sachverständigenrat für Umweltfragen: „Der entscheidende Erkenntnisfortschritt liegt in der Einsicht, dass ökonomische, soziale und ökologische Entwicklung nicht voneinander abgespalten und gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Soll menschliche Entwicklung auf Dauer gesichert sein, sind diese drei Komponenten als eine immer neu herzustellende notwendige Einheit zu betrachten.“ Selbst in der Bibel wird in der Genesis (2, 15) gefordert, der Mensch solle die Erde bebauen und bewahren.  

So gesehen ist die Idee der Nachhaltigkeit weder eine Kopfgeburt moderner Technokraten noch ein Geistesblitz von Ökofreaks der Generation Woodstock. Sie ist unser ursprüngliches Weltkulturerbe.  

Mobilität wurde in der Menschheitsgeschichte immer genutzt, um den - teilweise selbst verursachten - Katastrophen zu entkommen. Unsere moderne Gesellschaft kennt auch noch eine andere Mobilitätsdimension. Wir haben die Integration von Leben und Arbeiten verloren, und deswegen „pendeln“ wir zur Arbeit, zum Arzt und zum Bäcker.  

In unseren heutigen Strukturen, nicht nur aber auch im Rheinisch Bergischen Kreis, ist Mobilität eine Notwendigkeit. Nicht um dem Hunger zu entfliehen oder dem Krieg – aber trotzdem um zu überleben. 

Das 19. und das 20. Jahrhundert haben uns eine Explosion der Transportmöglichkeiten beschert. Die Eisenbahn, aber noch viel mehr das Auto hat uns unabhängig gemacht. Wir erleben gerade die Grenzen des Wachstums: Unsere Straßen sind überfüllt, die Infrastruktur wie zum Beispiel die Brücken und Bahnlinien zum Teil marode. Ein „weiter so“ ist offensichtlich nicht möglich. 

Ziel der Koalition von CDU und Grünen ist trotzdem die Sicherstellung die Erreichbarkeit aller relevanten Alltagsziele – im Zweifel auch ohne eigenes Auto. Viele Ziele im Ballungsraum lassen sich effizienter – ökologischer sowieso – mit anderen Verkehrsmitteln erreichen, und ein erheblicher Teil der Bevölkerung ist aus wirtschaftlichen, gesundheitlichen oder Alters-Gründen von der Nutzung von Autos ausgeschlossen.

Eine Möglichkeit, die Erreichbarkeit sicherzustellen, besteht in der Vermeidung der Transportnotwendigkeit. Unsere Gesellschaft kann Informationen transportieren, ohne dass wir uns selbst bewegen müssen. Vor 25 Jahren habe ich in einem Strategieworkshop gesagt, die neue Informationstechnologie wäre die Chance für dörfliche Strukturen. Ich lag zumindest damals komplett falsch, denn deren Ausbau erfolgte erst einmal nur in den Ballungszentren. Vielleicht ist es für die – zumindest teilweise – Wiedergewinnung der Einheit von Wohnen und Arbeiten noch nicht zu spät. In einer Zeit der völlig überlasteten und nicht zufriedenstellenden physischen Transportmöglichkeiten bekommt der Transport der Informationen Rückenwind, im Rheinisch Bergischen Kreis auch mit unserer Hilfe.

Bereits im Oktober ist ein Breitbandkoordinator zu uns gestoßen, um diesen Mobilitätsaspekt vor allen anderen zu entwickeln.  

Auch wenn wir die Informationsmobilität mit Hochdruck vorantreiben, bleibt die physische Anbindung maßgeblich für die Attraktivität von Wohnangeboten und Wirtschaftsstandorten. Der Ausbau vernetzter Mobilitätsangebote verfolgt entsprechend auch das Ziel, die Raum- und Bevölkerungsentwicklung zu beeinflussen. Ziel ist die Stabilisierung der Bevölkerungszahl im ländlichen Raum, Erhalt und Ansiedlung von Unternehmen sowie die Entwicklung von Tourismus und Naherholung. 

Unsere teilweise ländlich geprägte Region braucht dabei andere Konzepte und Ideen als Großstädte wie Köln oder Düsseldorf. Das Auto ist immer noch das wichtigste Verkehrsmittel für die Menschen in der Region, insbesondere auf den Strecken zwischen den Städten und Gemeinden.

Das reicht aber nicht. In den Ballungsräumen unseres Kreises wie Bergisch Gladbach sind die Straßen nicht mehr in der Lage, den Verkehr zu bewältigen. Diese Räume brauchen Entlastung. Die Gladbacher Mobilitätsinitiative hat das auch bereits klar formuliert, und wir sind in engem Kontakt. Die Rheinbrücken sind marode und das wirkt sich bis Burscheid aus. 

Unsere Bahn- und Busstrecken sind zu wenig, fahren nicht oft genug und sind nicht optimal mit den Anschlussverkehren verbunden. Wenn man ohne Auto von Odenthal nach Leichlingen will, ist man Stunden unterwegs. 

Der Schwerpunkt unserer 2. Stufe des Mobilitätskonzeptes liegt folgerichtig auf dem Themenkomplex des öffentlichen Personennahverkehrs und seinen Zubringerdiensten, auf Steuerung und Vernetzung.

Unser erklärtes Ziel ist es, mit allen Beteiligten und Betroffenen gemeinsam ein bedarfsgerechtes, bezahlbares und energieeffizientes Mobilitätsangebot im Rheinisch-Bergischen Kreis zu schaffen. 

Eine weitere Herausforderung ist die Gestaltung der Mobilität im demografischen Wandel. In einer Gesellschaft, in der immer mehr ältere und immer weniger jüngere Menschen leben, verändert sich das Bedürfnis nach Mobilität. Wie kann es uns gelingen, unter diesen Voraussetzungen ein nachhaltiges und effizientes Mobilitätskonzept zu verwirklichen?

Wir sind eingebettet in die Verkehrsbeziehungen der Region des Rheinlandes im Süden sowie zum Bergischen Städtedreieck im Norden. Viele unserer Nöte lassen sich nicht ohne die Mitwirkung Dritter lindern. Wir werden unser Bestes tun, um die überregionalen Strukturen zu beeinflussen.  

Neue Straßen und Schienenwege – wenn sie denn überhaupt möglich sind, dauern Jahrzehnte. Die Fortentwicklung des ÖPNV und die lokale Zusammenarbeit der Verkehrsangebote (man nennt das wohl „multimodal“) liegt hingegen in der Zuständigkeit der Kreise und Kommunen und kann durch eigene Beschlüsse direkt beeinflusst werden.  Die Akquise von Fördermitteln ist in diesem Zusammenhang aufgrund der angespannten kommunalen Haushaltslage eine wichtige, vielleicht sogar die wichtigste Aufgabe.  

Aufgrund der notwendigen Vernetzung muss eine „integrierte Verkehrsstrategie“ mit allen zu beteiligenden kommunalen und regionalen Akteuren entwickelt werden.  Das braucht Zeit. 

Im Bereich der direkten Zuständigkeiten der Kreisebene, insbesondere im Bereich des ÖPNV und dessen Vernetzung mit anderen Verkehrsträgern, kann der Kreis in Zusammenarbeit mit den Verkehrsunternehmen und den Kommunen bereits kurz- bis mittelfristig Maßnahmen umsetzen.  

Konkret bedeutet dies, in den überlasteten Verkehrsbereichen durch die attraktive Gestaltung von anderen Verkehrsmitteln das Auto zumindest teilweise zu ersetzen.   

Kurzfristig wollen wir folgende Maßnahmen umsetzen 

- Eine Schnellbuslinie zur Anbindung von Wermelskirchen und Burscheid an den Schienenverkehr in    Köln, Leverkusen oder Leichlingen.
- Prüfung einer Schnellbuslinie Wermelskirchen – Güldenwerth zur S7 
- Einer Schnellbuslinie aus dem Bereich Herkenrath/Spitze zur Linie 1 in Bensberg 
- Prüfung eines Schnellbuskonzept von Spitze zur S 11 in Bergisch Gladbach 
- Bessere Abstimmung der Bus- und Bahntaktzeiten zur Reduzierung von Wartezeiten 
- Der Bau von Park-and-Ride-Häusern/-Plätzen wo sinnvoll möglich
 - Ausbau innerörtlicher Radwegenetze mit Anbindung an Bus und Bahn und mit sicheren Radabstellmöglichkeiten 

Mobilität und Nachhaltigkeit  Erhöhung der Taktfrequenz und der Kapazitäten auf den Schienenstrecken, insbesondere KVB-Linie 1 und S 11 
- Ausbau von Taxibus-Angeboten 
- Entwicklung von Quartierbussen 
- Sicherung und Ausbau der Barrierefreiheit  - Ausbau alternativer Antriebsformen beim ÖPNV soweit wirtschaftlich 
 - Förderung von Ladesäulen für Elektroautos und E-Bikes
 - WLAN-Lösungen in Bussen und Bahnen
- Bessere Auskunft und Beratung - Maßnahmen zur Beschleunigung des Busverkehrs  

Langfristig wollen wir die KVB Linie 1 nach Osten in Richtung Moitzfeld und Herkenrath, die KVB-Linien 3 und 16 über Thielenbruch hinaus nach Bergisch Gladbach und die Linie 4 nach Odenthal verlängern.  

Um diese Ziele sinnvoll zu erreichen brauchen wir die Unterstützung der Verwaltung, der Kommunen und aller Politiker und Bürger, die sich für diese Ziele engagieren. Wir freuen uns über eine möglichst breite Unterstützung im Kreis, aber auch in Ihren Heimatkommunen.  

Wir haben einen vernünftigen Haushalt, der uns ein Stück voranbringen kann, und gute Konzepte für die Menschen, die hier wohnen und die, die hier Zuflucht suchen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür streiten. 

Danke für Ihre Aufmerksamkeit und für Sie, Ihre Lieben und für alle die es besonders brauchen ein paar ruhige, fröhliche und vor allem friedliche Tage.

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