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Eine Schule für Alle und das Bildungsziel Emanzipation

Am 25. August diskutierten Claudia Walter (SPD), Dr. Carolin Butterwegge und Doris Rehme (Grüne) über Bildungsziele im 21. Jahrhundert. Mit dabei war ebenfalls der Historiker Christoph Jünke, der mit einem kurzen Abriss der bildungspolitischen Debatte in der Bonner Republik einleitete.

06.09.16 –

Am 25. August diskutierten Claudia Walther (SPD), Dr. Carolin Butterwegge (LINKE) und Doris Rehme (Grüne) über Bildungsziele im 21. Jahrhundert. Mit dabei war ebenfalls der Historiker Christoph Jünke, der mit einem kurzen Abriss der bildungspolitischen Debatte in der Bonner Republik einleitete.

Umstritten waren - führte Christoph Jünke aus - nicht die Leistungsfähigkeit des deutschen Bildungssystems, sondern die Orientierung an Autoritäten des wilhelminischen Obrigkeitsstaates, die sich in den NS fortgesetzt hatten.

Die hierdurch hervorgebrachte politische Kultur und die klassenbezogenen Bildungsziele mündeten trotz des Zusammenbruchs des NS erst Ende des 60er Jahre in eine Reformdiskussion, bereits damals teils über "Humankapital" diskutierte, teils aber auch aus der Reformpädagogik herrührte. Viele Jahrzehnte hindurch gab es einen politischen und kulturellen Kampf zwischen der alten, konfessionell separierten Bekenntnisschule und den Forderungen nach einer demokratisch-republikanischen Einheitsschule. Und immer ging dieser Kampf darum, das alte, herrschaftliche Bildungsprivileg zu brechen, eine Bildung für alle Bürger*innen mit gleichen Chancen und Rechten für alle zu erreichen.

Die Bildungsreformen der 60 und 70er Jahre scheiterten, darüber herrsche unter Historikern Konsens, so Christoph Jünke. Sie scheiterten dabei nicht an Geld, sondern an Interessensgegensätzen. Eine Blockade- und Verhinderungspolitik führte zu einem Reformstau.

Hatten sich die an der Macht befindlichen Konservativen und Statusgruppen mit allen Mitteln gegen demokratische und egalitäre Reformen gewehrt, wurden die Linken immer schwächer und ohnmächtiger, bevor sie in den Achtzigern fast ganz aufgaben. Die Neo-Liberalen nun setzten die Bildungspolitik unter den nachhaltigen Druck der entfesselten Marktwirtschaft mit ihren rein ökonomischen Konkurrenz- und Profit-Imperativen. Die Ideologie des betriebswirtschaftlichen Denkens und das allgemeine Spardiktat gewannen die Oberhand auch in der Bildungspolitik – Bildung wurde fortan vor allem die Ausbildung des marktkonformen Bürger zur vermeintlich ökonomischen Rationalisierung und Modernisierung.

Christoph Jünke zitierte Oskar Negt: "Wer im Bildungsressort heute stolze Einsparungen vorzuweisen hat, wird in wenigen Jahren merken, dass im Innenressort mehr Mittel für Polizei und Gefängnisse, im Gesundheitswesen mehr Geld für psychosoziale Betreuung und Suchtbehandlung bewilligt werden müssen; der Grund dafür wird dann allerdings vergessen sein."

Allerdings betonte Christoph Jünke, dass die alte Bildungsreformdiskussion noch unter den Bedingungen von Vollbeschäftigung gelaufen sei. Mehr denn je sei es heutzutage unter den Bedingen des Verlust von Vorstellungen von Zukunft und Utopien notwendig, daran zu erinnern, dass Bildung einmal mehr als Ausbildung war, nämlich ein Gebot der Vernunft, durch welches Ich-Stärke und politische Partizipation erlernt werden.

Carolin Butterwegge wies darauf hin, dass es bei Bildung um Zustand und Prozess von Personen gleichzeitig ginge. Die zentrale Baustelle für sie stelle dabei die Verteilung von Bildungschancen nach der sozialen Herkunft dar. Diskutiert werden sollten dabei eben die Schwellen, an denen selektiert wird. Dies habe die Pisa-Studie ja auch nachgewiesen.

Es sei nicht Aufgabe von Bildung, Menschen verwertbar für den Arbeitsmarkt zu machen. Weiterhin legte sie großen Wert darauf, dass das Privatschulsystem nicht noch größer wird. Problematisch seien auch die Bologna-Reformen bzw. die Ökonomisierung der Hochschulen, u.a. durch die BA- und MA-Studiengänge. Als zentrale Bildungsziel benannte Carolin Butterwegge die bestmögliche Bildung für alle, den Ausbau von Gesamtschulen und emanzipatorische Bildung.

Doris Rehme fügte historisch hinzu, dass schon Wilhelm von Humboldt mit seiner Forderung nach der Abschaffung des ständisch gegliederte Bildungswesen gescheitert sei, wie nach ihm auch die Alliierten nach dem 2. Weltkrieg, die dieses System als vordemokratisch bezeichneten und eine allgemeinbildene Schule für alle forderten. Dies war in Westdeutschland nicht durchsetzbar. Das gegliederte, separierende Schulsystem ist bis heute erhalten geblieben und wurde sogar ohne großen Widerstand nach der Wende von den ostdeutschen Bundesländern übernommen und löste die Einheitsschule der DDR ab, eine Schulform, die Vorbild für die sehr erfolgreiche Neustrukturierung des Bildungssystems in Finnland war.

In den sechziger Jahren begann in Westdeutschland die Diskussion um die Einführung der Gesamtschule, einer Schulform, in der Leistungsdifferenzierung in die Schule verlagert wird. Nach Wolfgang Klafki, dessen funktionale Bildungstheorie die Diskussion um die Gesamtschule entscheidend beeinflusste, zielt Bildung u.A. auf die Vermittlung der Fähigkeiten zur Selbstbestimmung, zur Mitbestimmung und zur Solidarität. Diese Ziele finden sich im Konzept der Gesamtschule wieder. Im gegliederten, nach außen differenzierenden Schulsystem werden sich Schüler aus unterschiedlich sozialisierten Gesellschaftsgruppen frühzeitig fremd und lernen nicht, mit Mitmenschen aus anderen Schichten umzugehen.

Da die Gesamtschule mit dem mehrgliedrigen Schulsystem konkurriert, können diese gesellschaftspolitischen Ziele von ihr nur ansatzweise erreicht werden, um sie vollständig zu erreichen, braucht man eine Schule für alle, in der längeres gemeinsames Lernen von Schülern aller Gesellschaftsschichten möglich ist. Nur in einer solchen Schule auch die Inklusion von Schülern mit besonderem Förderbedarf möglich. Erst eine Schule für Alle könnte die Grundlage für eine demokratische Gesellschaft bilden.

Für Claudia Walther ist die Chancengleichheit zentraler Punkt. Auch in der Arbeiterbewegung sei die Bildung zur Freiheit und auch zur Emanzipation wesentlich gewesen und es lohne sich, dies auch wieder mehr in der Vordergrund zu stellen. Die SPD sei nach dem Trauma der verlorenen Debatte über die Koop-Schule auch viel zu zurückhaltend geworden.

Claudia Walther betonte jedoch die bisher nicht eingelösten Möglichkeiten des Schulkompromisses: Mit dem Setzen auf den Elternwillen seien Schulumwandlungen und Neugründungen möglich geworden. Allerdings würden die Anwärter*innenlisten für Gesamtschulen (weniger für Sekundarschulen) immer länger, ohne dass sich dies in den Schulentwicklungsplänen niederschlagen würde.

Eine spannende Debatte entwickelte sich später noch um die Frage, wieweit Bildung auch Ausbildung sein solle.

Über emanzipatorische Bildungsziele und die Idee einer Schule für alle bestand in dieser Runde ein breiter Konsens.

Insofern noch ein abschließendes Zitat von Christoph Jünke:

"Eine Schule für alle, eine Schule der Vielfalt, eine Schule der Emanzipation – das scheinen mir doch bemerkenswert aktuelle Bildungsziele in unserem 21.Jahrhundert zu sein."

 

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